EINE Kultur

Im „Fluter“, dem „Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung“ ist unlängst ein Artikel über „Gangsta-Rap“ erschienen. Den Autor des Artikels freut es, dass die „Mein-Block-Romantik“ endlich ausgedient habe; anstelle von „Sichtbetonromantik, Drogengeschäften und Gewaltexzessen“ gehe es endlich wieder um „Liebe, Freundschaft und die Suche nach der eigenen Identität“. Falk Schacht, der inzwischen immer öfter als Hiphop-Lobbyist (im positiven Sinne) auftritt, hat einen Offenen Brief an die Bundezentrale für politische Bildung verfasst, in dem er dem Autor Recherchefehler und eine eingeengte Sichtweise insbesondere auf den sogenannten „Gangsta-Rap“ vorwirft. Schachts Debattenbeitrag ist wahrscheinlich zu lang, als dass ihn Außenstehende vollständig lesen würden; er glänzt auch nicht unbedingt durch sprachliche oder argumentative Klarheit, doch in der Sache hat Schacht recht.

Es gibt ein Narrativ von der Rückkehr bürgerlicher Ideale in die Hiphop-Kultur. Der Autor des „Fluter“-Beitrags folgt diesem Narrativ, aber auch einige andere in den letzten Monaten erschienene Artikel arbeiten damit. Vor ein paar Tagen ist auf zeit.de ein Beitrag erschienen, der als exemplarisch gelten darf. Dem Narrativ zufolge herrschte im Deutschrap bis in jüngste Zeit Sodom und Gomorrha. „Gangsta-Rapper“ predigten Gewalt und unterboten sich gegenseitig mit ihrer musikalischen und inhaltlichen Niveaulosigkeit. ((Diesen Eindruck gewinnt wohl zwangsläufig, wer sein Wissen über Rap aus „Spiegel-TV“-Beiträgen bezieht.)) Dann aber traten ein paar weiße Ritter auf die Bühne, verwiesen den Pöbel in seine Schranken und musizieren seither fröhlich über Themen, mit denen sich auch ein kleinbürgerlicher Journalist anfreunden kann.

Das Narrativ lässt sich denkbar leicht auflösen, weil es so weit entfernt von den Fakten ist. Es ist eine schöne Geschichte, aber schöne Geschichten sind leider selten wahr. Besonders die vermeintlichen Agenten des Guten in dieser Erzählung funktionieren nur dann in der ihnen zugeteilten Rolle, wenn man nicht viel über sie und ihren musikalischen Werdegang weiß. Prinz Pi und Casper sind zwei hervorragende Beispiele. Das deshalb, weil sie beide schon sehr lange Musik machen und aufgrund ihres aktuellen Erfolgs trotzdem oft dieser neuen Generation zugerechnet werden, die der oben verlinkte „Zeit“-Artikel als die „jungen Milden“ bezeichnet.

Zu Prinz Pi muss man nicht viel sagen. Zwar rappte er unter seinem alten Pseudonym Prinz Porno möglicherweise tiefsinniger als heute, doch seine Attitüde war damals die des Berliner Untergrunds – für Außenstehende also zum Verwechseln ähnlich mit dem, was sie gemeinhin für „Gangsta-Rap“ halten. In den Feuilletons fand Prinz Porno dementsprechend nicht statt, seine Texte aber haben sicher zehntausende Jugendliche und junge Erwachsene maßgeblich beeinflusst. „Keine Liebe“ ist die Hymne meiner Jugend.

Casper rappt auf seinem vorletzten Album, dass er Frauen Pillen ins Glas schmeiße („Strasse 2“ featuring Kollegah(!)). Auf seinem vorangegangenen Mixtape inszeniert er sich in zahlreichen Tracks wie ein Straßenrapper und greift entsprechende Motive auf („Meine Jungs / Zehne von der Hauptschule / verteilen deine Zähne vor der Hauptschule“). Dies alles sind Facetten eines großartigen Künstlers, der maßgeblich durch Musik beeinflusst scheint, die in den Augen vieler Artikelschreiber wahrscheinlich nicht als „gesellschaftsfähig“ gelten würde. Hiphop ist eine Kultur. Das Narrativ versucht, diese Kultur entlang der Grenze des vermeintlich politisch oder gesellschaftlich Erwünschten in zwei Teile zu zerschneiden – den guten und den bösen Teil. Auf der einen Seite die „Gangsta-Rapper“, auf der anderen die „jungen Milden“. Dieser Versuch muss fehlschlagen, solange die Selbstwahrnehmung der angeblichen Protagonisten dieser Gruppen eine andere ist.

Ich möchte abschließend sagen: Die Argumentation der genannten Artikel funktioniert nur, weil deren Autoren anscheinend denken, diese vermeintliche „neue Generation“ hätte mit Rap und insbesondere „Gangsta-Rap“ nicht viel zu tun. Und das liegt augenscheinlich daran, dass sie zwar eine sehr konkrete Meinung über Rap haben, aber kaum konkretes Wissen. Ihre Meinung basiert auf Vorurteilen.

Anmerkung: Ich wollte eigentlich nur einen Kommentar auf Falk Schachts Facebook-Seite schreiben, aber es wurde dann doch ein Blog-Eintrag.